16. Februar 2007 - Von Irmela Kästner - Russische Tanzrevolution

Das Chelyabinsk Theater auf Kampnagel
Die Choreografin Olga Pona hat der fernen russischen Industriestadt Chelyabinsk den Ruf einer Tanzmetropole eingebracht.

Hochakrobatisch beginnt das Chelyabinsk Theater of Contemporary Dance auf Kampnagel seinen Auftritt. Paarweise deklinieren die Tänzer auf beeindruckendem technischen Niveau die zeitgenössischen Tanzmuster durch, als gelte es, gleich zum Auftakt klar zu stellen, dass hinter dem Ural noch lange nicht Tanzprovinz ist. Im Gegenteil: Die Choreografin Olga Pona hat der fernen russischen Industriestadt Chelyabinsk den Ruf einer Tanzmetropole eingebracht.
Seit einigen Jahren feiert sie mit ihrer 1992 gegründeten Compagnie auch auf internationalen Bühnen Erfolge. Thema ihrer Stücke ist immer wieder der Alltag im postkommunistischen Russland. Bis heute ein Stadium des Übergangs, wenn man ihrer choreografischen Deutung folgt. Erinnerungen an das Vergangene drängen sich in den Vordergrund einer energiegeladenen Aufbruchsstimmung.

Der Widerspruch spiegelt sich schon in der beruflichen Karriere der Choreografin selbst, die als Traktoringenieurin begann, bevor sie ein Zweitstudium als Tanzlehrerin absolvierte. Sechs Tänzer und drei Tänzerinnen zählt ihre Compagnie. Wobei die jungen Frauen den Männern in athletischer Körperkraft und Dynamik in nichts nachstehen. Der Anfang der Choreografie "The other side of the river" lässt an die sportive Ästhetik der Brasilianerin Deborah Colker denken, wären da nicht die poetischen, stimmungsvoll ausgeleuchteten Momente, die sich still und ein wenig melancholisch über den virtuosen Aktionismus legen.
Abwechslung bringt vor allem das wilde musikalische Potpourri aus geheimnisvollen Elektronikklängen, beschwingten Sixties-Sounds, aus Jazz und Tango. Bäuchlings auf Bügelbrettern rollen zwei Männer in traditioneller Arbeiterkluft herein, zerren unter dem Bezug neue Kleider hervor, die sie mit dampfendem Eisen glätten - wobei sie kunstvoll wabernde Nebelschwaden erzeugen. Ein Mädchen vergnügt sich mal mit dem einen, mal mit dem anderen.
Nett und naiv aber durchaus unterhaltsam erzählt Pona ihre Geschichten. Ein bisschen Kitsch darf auch sein. Dann rieselt leise der Schnee vom dem Bühnenhimmel. Seit Olga Pona zuletzt 2003 beim Festival Polyzentral auf Kampnagel gastierte, hat sich ihre Bewegungssprache enorm entwickelt, ist sehr viel komplexer aber auch um einiges glatter geworden. Beeindruckend ist, wie die Tänzer Tempo und Konzentration ohne den geringsten Konditionsabfall durchhalten. Riskante Hebungen und Schleuderfiguren werden von Verfolgungsjagden auf Rollbrettern abgelöst. Mitunter gelingt es den Tänzern sogar, das Glücksgefühl vom Fliegen zu vermitteln. In "Waiting", dem zweiten Stück des Abends, springen die Tänzerinnen sogar an Seilen auf die Bühne, hängen für Momente schwebend in der Luft, bevor sie zu Boden gehen. Wilde Engel, denen es nicht gelingt, ihre Männer zu beeindrucken. Die halten sich lieber an die Babouschkas, die umhüllt hinter milchiger Scheibe hocken. Das Oberteil über den Kopf gezogen, lassen sie sich barbusig zu einem sinnlichen Tanz verführen. Am Schluss stellen sich alle gemeinsam in wallender Bauernkleidung zu einem Bild aus der Vergangenheit auf.